Die Liste von antisemitischen Anschlägen und Angriffen im deutschsprachigen Raum nach 1945 umfasst antisemitische und antisemitisch motivierte Straftaten oder solche, bei denen man aufgrund der Tatumstände von ebendiesem Zusammenhang ausgeht, und enthält auch Angriffe auf israelische Institutionen oder auf Gedenkstätten des Holocaust.
Hintergrund
Bundesrepublik Deutschland
Da in Deutschland das Bundeskriminalamt keine gesonderte Statistik über judenfeindliche Hintergründe von Straftaten führt, sind verlässliche Daten über den Komplex schwer zu finden. 2001 führte das Bundesinnenministerium neue Kriterien für die Erfassung der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) ein, die die „tatauslösende politische Motivation“ berücksichtigen und nach rechtsextremen, linksextremen und migrationsbezogenen Tätermileus unterscheiden. Vielfach werden jedoch Straftaten mit politischem Hintergrund nicht als solche erkannt und entsprechend nicht in dieser Rubrik erfasst.
Der „Unabhängige Expertenkreis Antisemitismus“ der Bundesregierung, das American Jewish Committee und der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung kritisierten 2017, dass antisemitische Straftaten „grundsätzlich immer dann dem Phänomenbereich PMK-Rechts zugeordnet“ würden, wenn keine weiteren Spezifika erkennbar oder Tatverdächtige bekannt seien. So ergebe sich „möglicherweise ein nach rechts verzerrtes“ Täterbild. In einer Studie des Expertenkreises, die Juden nach antisemitischen Erfahrungen befragte, wurden 62 Prozent der Beleidigungen und 81 Prozent der körperlichen Angriffe Muslimen zugeschrieben. Auch eine Umfrage des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam (FFGI) unter jüdischen Betroffenen ergab nach Auskunft der Leiterin Susanne Schröter „dass 80 Prozent von ihnen Muslime als Täter angaben“. Hinzu kommt, dass antisemitische Taten etwa der türkischen Grauen Wölfe, der größten aller rechtsextremen Organisationen in Deutschland, in derselben Kategorie wie die deutscher Rechtsextremer erfasst werden, wobei deren Mitglieder oft auch die deutsche Staatsangehörigkeit besäßen.
Die offiziellen Zahlen unterscheiden sich teilweise deutlich von denen gesellschaftlicher Gruppen, die nach eigenen Angaben systematisch Vorfälle erfassen. So führt zum Beispiel die Berliner Amadeu Antonio Stiftung seit 2002 eine Chronik antisemitischer Straftaten auf der Grundlage von Presseauswertung. Bei allen Zahlenangaben wird von einer großen Dunkelziffer ausgegangen.
Im März 2004 hatte die Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC) eine Studie über das Anwachsen des Antisemitismus in der Europäischen Union vorgelegt. Das auf Deutschland bezogene Ergebnis zeigte, dass es im Jahr 2000 einen erheblichen Anstieg an antisemitisch motivierten Handlungen gab. Die seit 2001 veröffentlichten Zahlen des Bundesinnenministeriums waren bis 2009 konstant auf dem hohen Niveau von durchschnittlich 1690, also täglich vier bis fünf antisemitischen Delikten. Meistens handelt es sich dabei um Propagandadelikte, Sachbeschädigungen, Volksverhetzungen sowie Verstöße gegen das Versammlungsgesetz, es fallen darunter auch Pöbeleien gegen Juden, Brandanschläge auf Synagogen, Schändungen jüdischer Friedhöfe oder auch die Zerstörung von Stolpersteinen. Mit 1800 registrierten Fällen gilt das Jahr 2006 als das mit den meisten Übergriffen. Im Jahr 2009 zählte die Statistik 1690 Übergriffe. 2010 ging die Zahl auf 1268 zurück, 2011 waren es 1239 Delikte, 2012 stieg die Zahl wieder etwas an auf 1374 und 2013 ging sie zurück auf 1275 Delikte. Davon zu unterscheiden ist die Registrierung antisemitischer Gewaltdelikte, die im Jahr 2012 mit 41 Taten und 2013 mit 51 Taten angegeben sind. Auch in den Folgejahren stiegen laut Statistik des Bundeskriminalamtes (BKA) die Zahlen der registrierten antisemitischen Straftaten an, so im Jahr 2018 auf 1799, davon 69 Gewaltdelikte, und im Jahr 2019 auf 2032 Taten, davon 62 Gewaltdelikte. Der überwiegende Teil wurde mit 93,4 % der rechten politisch motivierten Kriminalität (PMK rechts) zugeordnet.
In Antworten der Bundesregierung auf regelmäßige Kleinen Anfragen durch die Fraktion der Linken werden seit einigen Jahren quartalsweise die polizeilich erfassten antisemitischen Straftaten veröffentlicht. Zum Beispiel wurden im ersten Halbjahr 2012, unter Vorbehalt der endgültigen Werte, insgesamt 436 Straftaten gemeldet, darunter waren dreizehn Gewalttaten. 425 dieser Taten, davon elf Gewalttaten, werden dem rechtsextremen Milieu zugeordnet, drei dem linksextremen und dreizehn Tätern mit Migrationshintergrund, davon zwei Gewalttaten. Acht Delikte sind unter sonstige politisch motivierte Kriminalität eingetragen.
Gemäß der EUMC-Studie stammen die Täter zum einen aus der rechten Szene, oft handelt es sich um „junge Männer weißer Hautfarbe, die von rechtsextremistischem Gedankengut beeinflusst sind“. Eine weitere Gruppe besteht aus Tätern, die häufig als „junge Muslime, Personen nordafrikanischer Abstammung oder Immigranten“ klassifiziert werden und deren Motive einen deutlichen Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt haben. Der Antisemitismusbericht des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 2011 wies aus, dass etwa 90 Prozent aller antisemitischen Straftaten von Tätern begangen worden seien, die dem rechten Spektrum zugeordnet werden, wobei unklare Fälle vom BKA als rechts motiviert eingestuft werden. Im Jahr 2019 betrug dieser Anteil 93,4 %. Weitere Tätergruppen wurden dem Linksextremismus im Zusammenhang sowohl mit einer Israel- wie einer Kapitalismuskritik und dem Umfeld des Islamismus zugeordnet.
Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem folgenden Krieg in Israel und Gaza 2023 registrierten die Polizei sowie die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus einen starken Anstieg von antisemitischen, antijüdischen und antiisraelischen Vorfällen in Deutschland. Sie umfassen Straftaten wie Volksverhetzung bei propalästinensischen Demonstrationen, Übergriffe auf Juden auf der Straße, Schmierereien an Synagogen und an Wohnhäusern.
Deutsche Demokratische Republik
Nach der Staatsgründung der Deutschen Demokratischen Republik siedelten sich zunächst zahlreiche Juden wieder vor allem im Ostteil Berlins an, es kam jedoch zwischen 1949 und 1953 im Zuge der fortschreitenden Stalinisierung zu Ausschreitungen gegen und Ausgrenzungen von Juden in der DDR, die wiederum zahlreiche Juden in die erneute Emigration trieben. Nach 1953 schwenkte die SED tendenziell zu einer Toleranz der verbleibenden jüdischen Bevölkerung um und positionierte sich eher antizionistisch als antisemitisch. Die Stiftung für Sozialgeschichte stellt fest, dass die „widersprüchliche Politik“ der SED eine „antisemitische und rassistische Atmosphäre“ protegierte, „die in der Gesellschaft Spuren hinterlassen“ habe und ein virulenter Antisemitismus immer wieder gewaltvolle Ausbrüche zur Folge gehabe habe. Der Genozid an den Juden wurde in der DDR nicht systematisch aufgearbeitet und war weder Teil einer Erinnerungskultur noch Teil der Schulbildung; gleichzeitig versuchte der Staat den Antifaschismus als Gründungsmythos zu stilisieren. Eine Entnazifizierung verlief dabei vor allem auf höheren Führungsebenen. Darunter blieben viele Mitläufer und NS-Täter weiter in führenden Positionen oder sie erreichten diese. Die Entnazifizierung, und damit auch eine Auseinandersetzung mit Ursachen für Antisemitismus, wurde Anfang der 1950er Jahre für beendet erklärt. Eine öffentlich und umfassende also gesellschaftliche Aufarbeitung des Antisemitismus in der DDR fand nicht statt. Die Ausstellung der Amadeu Antonio Stiftung Antisemitismus in der DDR – „Das hat’s bei uns nicht gegeben!“ versucht das Thema seit 2006 einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Ausstellung enthält u. a. eine Chronologie zu antisemitischen Straf- und Gewalttaten in der DDR.
Österreich
In Österreich werden antisemitische Angriffe nicht gesondert registriert. Nach der EUMC-Studie kommt es selten zu physischen Taten, stattdessen seien „eher durch verworrene und traditionell verwurzelte Stereotype“ gekennzeichnete Äußerungen im Alltag stark verbreitet.
Deutschschweiz
Für die Deutschschweiz werden antisemitische Vorfälle durch den Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) jährlich erfasst und registriert und in Abgleich mit den von der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) gesammelten Daten veröffentlicht. Seit 2011 beobachtet der SIG zudem systematisch verschiedene Internetseiten, so wurden in diesem Jahr insgesamt 112 antisemitische Vorfälle gemeldet, von denen es sich bei 76 um Äußerungen im Internet handelt. (2010 waren lediglich fünf Internetdelikte bei einer Gesamtzahl von 34 Vorfällen aufgeführt.) Die übrigen 36 Angriffe des Jahres 2011 bestanden aus neun Schmierereien, einer Beleidigung, 15 antisemitischen Zuschriften über Briefe oder Mails, fünf Verbreitungen von antisemitischen Schriften und sechs unter Verschiedenes eingetragenen Delikten. Es wurden keine körperlichen Übergriffe registriert.
Chronologische Auflistung
In der folgenden Liste sind einige der Angriffe und Anschläge auf Juden und jüdische wie israelische Einrichtungen und auf Gedenkstätten im deutschsprachigen Raum aufgenommen, die über mediale Diskussionen öffentliche Aufmerksamkeit erhielten.
Nur in öffentlich bekannten und belegten Fällen aufgelistet ist die Vielzahl der antisemitischen Straftaten, die in Deutschland vier- bis fünfmal pro Tag registriert werden. Diese umfassen Übergriffe und Beleidigungen gegenüber Menschen, bei denen eine jüdische Herkunft vermutet wird oder bekannt ist, die Verwüstung und Schändung jüdischer Friedhöfe, das Einwerfen von Fensterscheiben, das Schmieren und Sprühen von antisemitischen Parolen, Hakenkreuzen und SS-Runen auf Synagogen und jüdische wie israelische Einrichtungen oder auf Gedenkstellen, Aufmärsche und Ansammlungen, auf denen antisemitische Parolen gerufen werden, die Störung von Gedenkfeierlichkeiten oder religiösen Festen, das Verteilen, Verbreiten oder Anbringen von Hetzschriften und Hetzplakaten, die Demolierung und Beschmierung von Fahrzeugen von bekannten Juden oder Leuten, die sich für die Belange von Juden einsetzen, das Verschicken antisemitischer Drohungen über Post und Mail und vieles mehr. Sachbeschädigungen auf jüdischen Friedhöfen sind bereits seit unmittelbarer Nachkriegszeit gleichbleibend hoch. Die Statistik weist aus, dass schon 1947 in Ost- und Westdeutschland wöchentlich ein jüdischer Friedhof geschändet wurde, im Durchschnitt wurden zwischen 2000 und 2009 in Deutschland 50,9 derartige Vorfälle pro Jahr registriert.
Siehe auch
- Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus
- Liste von Anschlägen auf Juden und jüdische Einrichtungen in den Vereinigten Staaten
- Liste von Anschlägen auf Juden und jüdische Einrichtungen in der Schweiz
- Liste von Anschlägen auf Juden und jüdische Einrichtungen in Frankreich
- Liste geschändeter jüdischer Friedhöfe in Deutschland (Auswahl)
- Antisemitische Ausschreitungen während des Krieges in Israel und Gaza 2023
Weblinks
- Anfragen im Bundestag zum Thema Antisemitismus
- Chronik antisemitischer Vorfälle, Amadeu Antonio Stiftung, seit 2002 geführt
- JFDA – Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus
- Aktion Kinder des Holocaust – Melde- und Beratungsstelle für antisemitische Vorfälle (Schweiz)
- Coordination Forum for Countering Antisemitism Israelische Regierungsstelle zur weltweiten Dokumentation antisemitischer Vorfälle mit Recherchemöglichkeit
- Anzahl der politisch motivierten Straftaten und Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund¹ in Deutschland von 2010 bis 2021. In: statista.com. Juni 2022, abgerufen am 17. Oktober 2022.
Literatur
- Bericht des unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus: Antisemitismus in Deutschland – Erscheinungsformen, Bedingungen, Präventionsansätze. (PDF; 3,2 MB) Drucksache des Deutschen Bundestages vom 10. November 2011
- Unabhängiger Expertenkreis Antisemitismus: Antisemitismus in Deutschland - Aktuelle Entwicklungen (Stand Oktober 2018) (PDF; 18 MB)
- Adolf Diamant: Geschändete Jüdische Friedhöfe in Deutschland. 1945 bis 1999, Potsdam 2000.
- Klaus Hödl, Gerald Lamprecht: Zwischen Kontinuität und Transformation – Antisemitismus im gegenwärtigen medialen Diskurs Österreichs. (PDF; 235 kB) In: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte, XXXIII, Göttingen 2005, S. 140–159.
- Ronen Steinke: Terror gegen Juden: Wie antisemitische Gewalt erstarkt und der Staat versagt. Berlin Verlag, Berlin 2020, ISBN 978-3-8270-1425-2.
Einzelnachweise




